Reinhold Otto Mayer Preis 2021

Im Rahmen einer Festveranstaltung am 16. Oktober 2021 in der Jungen Oper im Nord (JOiN) hat die Reinhold Otto Mayer Stiftung erstmals ihren neugegründeten, mit 50.000 Euro dotierten Musiktheaterpreis verliehen.
Die Komponistin Catalina Rueda und die Librettistin Lisa Pottstock wurden für ihr Konzept des Musiktheaterwerks
MELUSINE. Was machst Du am Samstag?,
das sich an alle ab 16 Jahren richtet, ausgezeichnet. Die beiden Künstlerinnen hatten sich im Rahmen einer Ausschreibung Anfang dieses Jahres gegen über 30 Bewerbungen durchgesetzt. Bei der Preisverleihung wurden erstmals Ausschnitte aus dem Werk präsentiert.
In ihrer Laudatio (PDF) würdigte die Ressortleiterin Feuilleton, DIE ZEIT, Christine Lemke-Matwey als Jurorin des Reinhold Otto Mayer Preises die beiden Preisträgerinnen:
„Lisa Pottstocks und Catalina Ruedas Melusinen-Oper vermag etwas geradezu Ungeheuerliches, es macht ‚Jahrhunderte durchhörbar‘, so hat Ingeborg Bachmann einmal über Maria Callas gesagt. Wobei ich hinzufügen würde: diese Oper (das was ich von ihr kenne oder erahne) macht Jahrhunderte durchhörbar und durchschaubar. MELUSINE. Was machst du am Samstag? ist ein hochintelligentes, verwirrendes, widersprüchliches, hoffentlich auch sinnlich-witziges und cooles Spiel mit Einheiten und Vielheiten, Traditionen und Identitäten, Selbstermächtigungen und Fremdzuschreibungen.“
 
 
Die Preisträgerarbeit MELUSINE. Was machst du am Samstag? wurde im Juni 2022 im JOiN uraufgeführt und war in der Spielzeit 2022/23 im Repertoire der Jungen Oper im Nord. 
Spielplan
 
 


MELUSINE. Was machst Du am Samstag?

Die mittelalterliche Melusinen-Sage wird beim Preisträgerwerk von Catalina Rueda und Lisa Pottstock mit dem feministischen und queeren Kampf um das Recht auf die Selbstbestimmung des eigenen Körpers verknüpft. Dass Melusine ihren mehrdeutigen Körper geheim halten muss, um in menschlicher Gesellschaft zu leben, ist für die beiden Preisträgerinnen das mythologische Motiv, dessen politische und soziale Konsequenzen bis in die Gegenwart reichen. Der mehrdeutige Körper, der sich verändert und umgestaltet, wird in der patriarchalen, heteronormativen Gesellschaft zensiert. Oder eben zum Monster gemacht. Dieses Motiv wird in der Neubearbeitung des Melusinen-Mythos durch die Preisträgerinnen auf formaler und inhaltlicher Ebene umgekehrt: die ‚hybride Monsteroper‘ soll durch frei bewegliche Akte selbst ein mehrdeutiger Körper werden, der nicht geheim bleibt, sondern hörbar, sichtbar und gestaltbar wird. In jeder einzelnen Vorstellung könnte die Oper eine veränderte Gestalt annehmen.
 
Die Oper besteht aus sechs in ihrer Reihenfolge variablen Akten (‚Einblicke‘), die durch fünf Intermezzi verbunden werden. Auch letztere folgen dem Prinzip des sich verändernden Körpers: als Vorlage dient das mittelalterliche Rondo „Fumeux Fume“ des Komponisten Solage, das von Mal zu Mal kompositorisch verfremdet wird. Die ungewöhnlichen rhythmischen und tonalen Sequenzen des Rondos führen zu einer mehrdeutigen Harmonik, die einen antreibenden musikalischen Charakter hat. Literarisch und popkulturell inspiriert ist das Opernkonzept der Preisträgerinnen von Viginia Woolf und Billie Eilish.
 

Foto: Heide Benser

Die Komponistin Catalina Rueda wurde 1989 in Bogotà, Kolumbien, geboren und lebt seit 2011 in Hamburg, wo sie derzeit im Masterstudiengang Komposition bei Gordon Kampe studiert. Neben ihrer kompositorischen Arbeit widmet sie sich auch der Improvisation und Performance mit Klavier und Gesang. Beeinflusst von Volks-, Tanz- und elektronischer Musik entfaltet sich ihre musikalische Sprache im akustischen Raum, eingebettet in einer sequenziellen Harmonik, die nicht müde wird, neue Kontexte zu schaffen für Melodie und Erzählung. 2016 erhielt sie beim ACHT BRÜCKEN Festival in Köln den zweiten Preis für ihr Vokalsextett Duo Seraphim. Im gleichen Jahr erhielt sie das Deutschlandstipendium und ein Abschlussstipendium des DAAD. Zwischen 2017 und 2020 arbeitete Catalina Rueda u.a. mit der Filmregisseurin Anett Stenzel, dem Regisseur Mien Bogaert, dem Asian Art Ensemble, den Ensembles Mirror Strings und KNM Berlin, dem Theaterorchester Aachen und den Kölner Vokalsolisten zusammen. Die Duisburger Philharmoniker beauftragten sie Ende 2020 mit der Komposition eines Liederzyklus, der auf Gedichten von Steffen Popp basiert.

 

Foto: Marie Pottstock

Die 1991 geborene Librettistin Lisa Pottstock studierte Philosophie in Leipzig und wurde dort studiumsbegleitend zur Chorleiterin ausgebildet. Sie war Mitglied und Chorleiterin der Singkompanie Mayröcker. Seit 2018 studiert sie Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Sowohl in ihrem Schreiben als auch ihrer künstlerischen Praxis beschäftigt sie die Gesangsstimme. Für ihren philosophischen Essay „Atmen muss ich sowieso“, der in der Philosophie des Singens im mairisch Verlag erschien, wurde sie mit dem Krista-und-Rüdiger-Warnke-Förderpreis ausgezeichnet. 2020 brachte sie Der gestrandete Sopran im Hamburger Sprechwerk zur Aufführung, eine Stückentwicklung zur kulturellen Geschichte der hohen Stimme. Im gleichen Jahr erarbeitete sie eine musiktheatrale Performance zu den Texten Die Fragwürdigen der Schweizer Autorin Judith Keller.
 


 
FinalistInnen

Die FinalistInnen des Wettbewerbs waren (in alphabetischer Reihenfolge der KomponistInnen):
 
Sara Glojnarić und Jasmin Schädler: „Mel-U-Sin-Al“
 
Ole Hübner und Thomas Köck: „mighty melusine (haut und moral) - eine verliereroper“
 
Helga Pogatschar und Josef Bairlein: „Melusinen“
 
Lorenzo Romano, Dagrun Hintze und Ron Zimmering: „THANX TO THE MONSTER. Ein doku-fiktionales Musiktheater über Melusines Erb*innen“

 
Jury

Prof. Sebastian Baumgarten, Leiter des Studiengangs Regie an der Bayerischen Theaterakademie August Everding
 
Dorothea Hartmann, Stellvertretende Chefdramaturgin der Deutschen Oper Berlin sowie Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Tischlerei
 
Matthias Klink, Kammersänger Staatsoper Stuttgart
 
Christine Lemke-Matwey, Ressortleiterin Feuilleton, DIE ZEIT
 
Dr. Regula Rapp, Rektorin der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart
 
Prof. Dr. Matthias Rebstock, Institutsleiter Szenische Musik, Universität Hildesheim
 
Elena Tzavara, Künstlerische Leiterin des JOiN
 
 
 



 

Bilder der Preisverleihung

      Fotos: Thilo Häferer

       Magazin der Staatsoper Stuttgart


 

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